Für einen Eintritt in die rechtsextreme Szene ist das Jugendalter eine sensible Lebensphase.
Sowohl Schule, Jugendarbeit und Institutionen des Freizeitbereichs sind gefordert, Jugendliche über die Risiken eines Einstiegs in die rechtsextreme Szene aufzuklären, präventiv zu wirken oder sie bei einem Szenen-Ausstieg zu unterstützen.
Diese Rubrik will Institutionen motivieren, hinzuschauen, sich zu vernetzen und aktiv zu werden, wenn sie bei Jugendlichen oder Erwachsenen Anzeichen wahrnehmen, die auf rechtsextreme Einstellungen oder Aktivitäten hinweisen. Verschiedene Anlaufstellen bieten Unterstützung an.
Schüler*innen hören in der Pause rechtsextreme Musik (mit Kopfhörer).
Schüler*innen ritzen Hakenkreuze in Pulte ein.
Jugendliche tragen T-Shirts mit Schweizerkreuzen zur Abgrenzung von Mitschüler*innen mit Migrationshintergrund. Sie werten diese ab und treten als geschlossene Gruppe auf.
Jugendliche tragen Springerstiefel und Bürstenhaarschnitte, Thor Steinar Klamotten oder lassen sich rassistische Tattoos stechen.
Schüler*innen begrüssen sich in der Schule mit dem Hitlergruss.
Jugendliche machen sich im Geschichtsunterricht über den Holocaust lustig und machen gewaltverherrlichende Sprüche.
Skater*innen werden von rechtsgerichteten Gleichaltrigen verbal und körperlich provoziert und angegriffen.
Eine Mutter fordert die Kindergärtnerin auf, ihren Sohn nicht neben den dunkelhäutigen Kindergärtner (“N-Wort“) zu setzen.
Ein muslimischer Schüler wird von seinen Mitschüler*innen als «Bombenleger» bezeichnet und gemobbt.
Ein 13-jähriger Schweizer dunkler Hautfarbe wird von einem erwachsenen Passanten wiederholt als “N-Wort“ beschimpft und aufgefordert dorthin zurückzukehren, wo er (vermeintlich) herkomme.
Ein Buschauffeur weigerte sich wiederholt, bei der jeweils letzten Fahrt, die minderjährigen unbegleiteten Geflüchteten zu ihrer Haltstelle zu fahren, um schneller ins Depot zu gelangen.
Diese Szenen aus dem Alltag wurden in den vergangenen Jahren bei Beratungsstellen gemeldet. Bei ihnen verschwimmen oft die Grenzen zwischen Rassismus und Rechtsextremismus.
Durch umsichtige Abklärungen gilt es zu klären, welche Motive und Dynamiken hinter den Vorkommnissen stecken. Entscheidend ist, dass Opfer, deren Eltern und andere Bezugspersonen Unterstützung erhalten.
Wichtig ist: Für rassistische oder rechtsextremistische Vorfälle müssen weder Schulleitung, noch Lehrpersonen noch Schüler*innen sich allein verantwortlich fühlen. Die Beteiligten sollen sich mit weiteren Gemeindeakteur*innen (Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, Schulpsychologischer Dienst) und Fachleuten (Gewalt- und Rechtsextremismusexpert*innen) vernetzen und bei Straftaten die Polizei einbeziehen. Alles mit dem Ziel, das Geschehene aufzuklären und die Hintergründe des rechtsextremen Phänomens zu erkennen. Bei einer gemeinsamen Aufarbeitung sollen die betroffenen Schüler*innen und Jugendlichen einbezogen werden, ebenso ihre Umfelder.
Wichtige Zeichen setzen lokale Gemeindebehörden und Politiker*innen, wenn sie öffentlich eindeutig Stellung beziehen und die Vorfälle verurteilen. Überdies sollen Schulleitende und Jugendarbeitende die Angegriffenen unterstützen und die Verantwortlichen zur Rede stellen.
(Siehe zu weiteren Handlungsoptionen auch Gemeinwesen)
Das Forschungsprojekt „Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt – Festgefahrenes durch Projektunterricht verändern“, veröffentlicht im Jahr 2000, untersuchte die erzielten Einstellungsänderungen bei Berufsschüler*innen. Die Ergebnisse zeigen, dass Rassismusprävention und –intervention vielfältiger wirken als gemeinhin angenommen. Diese reichten von dauerhafter Sensibilisierung bis hin zu Bumerangeffekten (bei Antisemitismus und Holocaustleugnung).
Lernmedien liefern Anregungen dazu, wie das Thema Rechtsextremismus im Unterricht aufgegriffen werden kann.
Jugendarbeit kann mit unterschiedlichen Phänomenen konfrontiert werden:
Nach dem Ansatz der „akzeptierenden Jugendarbeit“ sollten sich Sozialarbeitende der Jugendlichen annehmen und sich für sie interessieren, insbesondere für die Probleme, „die sie haben“ und nicht nur diejenigen, „die sie machen“. Gleichzeitig müssen Sozialarbeitende klare Werte vertreten und kritisch mit gewaltaffinen und rassistischen Haltungen umgehen (Krafeld 1996). Denn Jugendarbeit muss sich von Rechtsextremismus distanzieren und darf ihm keine Hand bieten.
Ist die Trennung zwischen Jugendlichen ohne und solchen mit Migrationserfahrung im Freizeitbereich ausgeprägt, ist sie meist ein Anzeichen für latente Spannungen in der Schule oder im Quartier.
Selbst wenn sie dieselbe Schule besuchen, kann die subtile oder offene Ablehnung dazu führen, dass sich nur wenige ethnisch-gemischte Freundschaftsbeziehungen bilden oder weitere Trennlinien (soziale Herkunft, Status, Hautfarbe etc.) ein diversitätsfeindliches Klima schaffen.
Fehlende interkulturelle Kontakte begünstigen die Entstehung von Vorurteilen und gegenseitiger Abgrenzung, wodurch das Konzept der „Heimat“ einen hohen Stellenwert erfährt.
Rechtsextremismus ist in ländlichen Gebieten verbreiteter als in urbanen Zentren, wo mehr Menschen mit Migrationserfahrung leben und wo die Diversität als gelebter Alltag gilt.
Jugendarbeit kann Ausgrenzungen unter Jugendlichen entgegenwirken. Sie kann Themen wie „Heimat“ oder „territoriale Vorherrschaft“ („Wer hat hier das Sagen?“) aufgreifen und sie bearbeiten. Sie kann durch gemeinsame Aktivitäten Kontakte fördern, welche den Austausch und die Kooperation zwischen unterschiedlichen Gruppen begünstigen und gemeinsame Erfahrungen ermöglichen.
Jugendarbeit braucht manchmal einen langen Atem. Falls Gruppierungen sich stark abgrenzen und unter ihnen ein angespanntes Verhältnis vorherrscht, kann es notwendig sein, zuerst in einem ersten Schritt mit jeder Gruppe separat eine gute Arbeitsbeziehung aufzubauen, bevor gemeinsame Aktivitäten möglich sind. Falls Feindseligkeiten überwiegen und keine gemeinsame Basis vorhanden ist, kann auch ein „Grümpelturnier“ zu einer „Schlacht“ werden.
Rechtsextreme Jugendgewalt ist nicht ein Jugendproblem und beschränkt sich auch nicht auf Fremdenfeindlichkeit. Sie ist oft ein Indikator dafür, dass in der Bevölkerung rassistische Haltungen und Forderungen nach struktureller Gewalt (Abschiebung von Flüchtlingen, Einwanderungsstopp etc.) verbreitet sind. Diese Haltung kann gewaltbereite Rechtsextreme darin bestärken, stellvertretend für die örtliche Bevölkerung Gewalt gegen Zugewanderte auszuüben.
Jugendarbeit muss Opfer rechtsextremer Ausgrenzung und Gewalt stützen. Auch weil diese oft zögern, die Täter*innen bei der Polizei anzuzeigen. Sei es, dass sie sich wenig davon versprechen, sei es, dass sie Racheakte befürchten oder der Polizei als Institution misstrauen. Eher berichten Opfer den Jugendarbeitenden. Diese können sie unterstützen und ermutigen Anzeige zu erstatten, oder die Übergriffe publik zu machen. Oder sich an Extremismusfachstellen, Opferhilfestellen oder andere Unterstützungsangebote zu wenden.
Auch Lernmedien können in der offenen Jugendarbeit verwendet werden.
Handlungsoptionen für den Freizeitbereich
Rechtsextremismus tritt nicht nur in der Jugendarbeit auf, sondern auch in anderen Bereichen der Gesellschaft.
Beispiele:
Das Internet ist Teil des Alltags in vielen Lebensbereichen, wie Arbeit, Schule, Freizeit. Es ermöglicht einen raschen Informationszugriff und demokratisierte den Informationsaustausch. Jede*r kann nun selbst Inhalte verbreiten und – zumindest theoretisch – eine beliebige Anzahl Menschen erreichen und mit ihnen in Kontakt treten, unabhängig wo sich diese befinden. Dies hat zur Folge, dass auch menschenfeindliche Inhalte einfacher zugänglich sind und leichter verbreitet werden können. Dies bedeutet aber auch, dass alle die Möglichkeit haben, rechtsextremistische Entwicklungen zu beobachten, zu dokumentieren und darauf zu reagieren.
Der Sozialforscher Patrik Manzoni befragte 2017 über 8300 Jugendliche (17-/18-jährig) zu rechtsextremen, linksextremen und islamistisch-extremen Einstellungen.
Er stellte fest: Rund 16% der Schweizer Jugendlichen (ohne Migrationshintergrund) konsumierten in den zwölf Monaten vor der Befragung rechtsextremistische Medieninhalte, insbesondere Musik rechter Gruppierungen, gefolgt von Homepages mit rechtsextremen Inhalten.
Sie sahen und hörten:
Sie finden Zugang zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit über unterschiedliche Kanäle, wie Facebook, Youtube oder Twitter.
Neben den Sozialen Medien nutzen Rechtsextremist*innen weiterhin auch Kanäle, wie etwa Webseiten, Foren, Blogs, Messenger und Chats, um ihre extremistischen Botschaften, Parolen und verzerrten Informationen zu verbreiten und so Vorurteile und Hass zu säen.
Die Seite Willkommen | Help für lehrkräfte (help-interkulturell.ch) bietet konkrete Umsetzungsideen an.
Allenfalls liefern auch bestimmte Lernmedien Anregungen zur Arbeit im Freizeitbereich.
Eser Davolio, Miryam. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt. Festgefahrenes durch Projektunterricht verändern. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt Verlag, 2000
Eser Davolio, Miryam. Antidiskriminierungspädagogik und antirassistische Bildungsarbeit in der Schule. In: Hänni Hoti, Andrea (Hrsg.). EQUITY – Diskriminierung und Chancengerechtigkeit im Bildungswesen. Migrationshintergrund und soziale Herkunft im Fokus. Bern: EDK Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, 2015, S. 143-150.
Krafeld, Franz-Josef. Die Praxis akzeptierender Jugendarbeit. Konzepte, Erfahrungen, Analysen aus der Arbeit mit rechten Jugendcliquen. Opladen, 1996.
Krafeld, Franz-Josef. Von der akzeptierenden Jugendarbeit zu einer gerechtigkeitsorientierten Jugendarbeit. In: deutsche jugend, (48), H. 6/2000, S. 266–268.
Manzoni, Patrik/ Baier, Dirk/ Kamenowski, Maria/ Isenhardt, Anna/ Haymoz, Sandrine/ Jacot. Cédric (2019). Einflussfaktoren extremistischer Einstellungen unter Jugendlichen in der Schweiz. Zürich: ZHAW. Einflussfaktoren extremistischer Einstellungen unter Jugendlichen in der Schweiz (zhaw.ch)
Roose, Kevin: The Making of YouTube Radical. New York Times, 08.06.2019