Geschichtliches

Geschichtliche Entwicklung
in der Schweiz seit 1945

„Schweiz – wir kommen“ … und treten wieder in den Schatten

Entwicklung vor 1945

Mitte Juli 1943 verbietet der Bundesrat (Regierung) die „Eidgenössische Sammlung“, die letzte Organisation der nationalsozialistischen Fronten, die 1933 (Machtabtretung an Hitler und die NSDAP) im „Frontenfrühling“ oder später entstanden waren. Das Ende des 2. Weltkrieges und die Entdeckung der nationalsozialistischen Verbrechen an Jüdinnen und Juden, an den Romas und Zwangsarbeiter*innen diskreditieren alle rechtsextremen Bewegungen und Parteien, ihre Positionen gelten nun als unvereinbar mit einem demokratischen Staat (Antifaschistischer Grundkonsens).

Allerdings erscheinen auch in der Schweiz in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg bereits wieder erste rechtsextreme Publikationen: in der Deutschschweiz die Zeitschrift „Turmwart“, in der Westschweiz der „Courrier du Continent“, an der bereits Gaston-Armand Amaudruz mitarbeitet. (Amaudruz (1920-2018) zählte jahrzehntelang zu den bekanntesten rechtsextremen Aktivisten in der Westschweiz.)
Erste Gründungen von rechtsextremen Organisationen hingegen scheitern bis Ende der 1970er-Jahre jeweils nach kurzer Zeit, wegen nachlassendem Engagement der wenigen Aktivisten.

Nicht in nationalsozialistischen Traditionszusammenhängen bewegt sich die Nationale Aktion NA, gegründet 1963. Sie kämpft als „Überfremdungspartei“ mit nationalistischer Argumentation gegen Ausländer*Innen, vorerst hauptsächlich gegen Italiener*Innen. Die Partei ist auch für ehemalige Mitglieder der Fronten attraktiv. NA-Exponenten treten auch bei neonazistischen Organisationen als Redner auf. Nach einem Bundesgerichtsurteil (Herbst 1987), das die ‚braunen Flecken auf der NA-Weste’ bestätigte, nennt sich die NA ab Juni 1990 neu Schweizer Demokraten.

Die Auseinandersetzungen um den Beitritt der Schweiz zum UNO-Übereinkommen gegen Rassismus aktiviert ab 1993 die Holocaust-Leugner*innen. Sie gründen eine Vereinigung, erreichen aber – trotz eifriger Publikationstätigkeit – in der Schweiz wenig Beachtung, wenn auch holocaust-leugnende Ansichten von vielen Rechtsextremist*innen geteilt werden. Die beiden bekanntesten Vertreter, Jürgen Graf und Bernhard Schaub, erreichen jedoch internationale Ausstrahlung, innerhalb der rechtsextremen Szene.

Entwicklung nach 1945 in 5 Phasen

1. Phase: Nationalsozialisten vermeiden Öffentlichkeit

Schon vor Kriegsende ziehen sich Fröntler*innen aus der Öffentlichkeit zurück. In den ersten Nachkriegsjahren treten einige in bürgerliche Parteien ein. Andere agieren in publizistischen Nischen, meist unbeachtet von der Öffentlichkeit. Diese orientieren sich weiter an nationalsozialistischen Vorstellungen, auch die 1971 gegründete „Europa-Burschenschaft Arminia“. Die Neugründungen bestehen meist nur kurze Zeit, Ausnahme ist die immer noch erscheinende Zeitschrift „Courrier du Continent“, gegründet 1946, mit dabei der Westschweizer Gaston-Armand Amaudruz (1920-2018), von Anfang der 1950er-Jahre bis 2013 Herausgeber und alleiniger Redaktor.

2. Phase: Eine jugendliche Subkultur wird nationalsozialistisch

Ab Anfang der 1980er-Jahre – zuerst in Fussballstadien – treten unter den Hooligans rechtsextreme Skinheads in Erscheinung und gründen ab 1985 erste „Fronten“. Diese sind meist kurzlebig. Im „kleinen Frontenfrühling“ (1988/1989)) erreicht die Szene einen vorläufigen Höhepunkt. Die bekannteste Figur ist Marcel Strebel, Anführer der „Patriotischen Front“. In der Zeit von 1988 bis 1991 – bestärkt durch asylfeindliche Kampagnen der SVP und der Boulevardzeitung „Blick“- kommt es zu vielen Angriffen auf Asylbewerber*innen und ihre Unterkünfte. Die Täterschaft bleibt meist unbekannt.

3. Phase: Eine rechtsextreme Jugendsubkultur erhält eine politische Stimme

In den 1990er-Jahren findet die Jugend-Subkultur der Naziskinheads vermehrt Anhänger*innen, meist junge Männer, vorwiegend in ländlichen und kleinstädtischen Regionen. Ende der 1990er-Jahre sind auch in der Schweiz die beiden internationalen Naziskin-Netzwerke Hammerskinheads und Blood and Honour aktiv, bald verbunden in heftiger gegenseitiger Abneigung. Beide Netzwerke verbreiten ihre nationalsozialistischen Vorstellungen meist an Konzerten, die ungehindert von der Polizei über die Bühne gehen können. Ehemalige „Blood and Honour“-Mitglieder gründen im Herbst 2000 die Partei National Orientierter Schweizer (PNOS).

4. Phase: Eine rechtsextreme Partei organisiert Szene-Treffen

Der PNOS – und ihren Umfeldorganisationen wie der Helvetischen Jugend – gelingt es, jährlich mehrmals Hunderte von Leuten zu mobilisieren, bevorzugt an patriotischen Gedenkanlässen wie der „Bundesfeier“ auf dem Rütli oder der «Schlachtjahrzeit» von Sempach/LU. Die Organisator*innen der vaterländischen Feiern weigern sich vorerst auf diese Kundgebungen zu reagieren. Erst als 2005 rund ein Drittel der Rütli-Besucher*innen gegen den Festredner Bundesrat Samuel Schmid (SVP) pöbeln, ändern sie in den folgenden Jahren ihre Meinung und verunmöglichen Rechtsextremen den organisierten Zutritt zu vaterländischen Gedenkfeiern. Die Rechtsextremen weichen auf eigene Aufmärsche aus und verlieren bald an Zulauf.

Weiter aktiv sind einige Gruppen oder Kameradschaften, wie auch Tonträger-Versände und Buchvertriebe. Die PNOS beteiligt sich einige Male an Wahlen. Sie erreicht zweimal einen Parlamentssitz in der Kleinstadt Langenthal und einen Sitz in der Gemeinderegierung von Günsberg SO.

5. Phase: Eine Subkultur findet kaum noch neue Anhänger. Die rechtsextreme Szene schwindet

Seit Beginn der 2010er-Jahre steckt die rechtsextreme Szene in der Schweiz in einer organisatorischen Krise, zuerst in der Deutschschweiz. Sie kann ihre Selbstbestätigungen bei patriotischen Feiern nicht mehr aufführen, dazu hat sie – auch durch das Verschwinden der Skinhead-Subkultur – die gesellschaftliche Basis weitgehend verloren. Das Konzert in Unterwasser/Toggenburg mit rund 5000 Besuchenden (Oktober 2016) war der letzte grössere Anlass, welcher öffentlich bekannt wurde. Verschiedene Versuche, etwa an Kundgebungen, öffentlich aufzutreten erreichen nur wenige Personen, da die rechtsextremen Organisator*innen kaum Leute ausserhalb der eigenen Szene mobilisieren können.


In der Romandie gelingt es mehreren Organisationen, die sich an den Vorstellungen der Nouvelle Droite (Neue Rechte) orientieren, eine konstante politische Arbeit zu betreiben, bis zum Sommer 2020, als zwei Organisationen (Kalvingrad Patriote und Parti Nationaliste Suisse PNS) das Ende ihrer Aktivitäten ankündigten. Aktiv bleibt die Gruppe Résistance Helvétique.

Die meisten rechtsextremen Organisationen sind nur noch regional relevant, diskriminierende Vorstellungen gegen Muslime, jüdische Menschen, People of Colour bleiben in der Gesellschaft hingegen weiterhin verbreitet. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie werden vermehrt Verschwörungsvorstellungen öffentlich geäussert, nicht nur von Esoteriker*innen, sondern auch von Angehörigen christlicher Sekten, teils mit eindeutig antisemitischer Ausrichtung. Gleichzeitig marschieren auch Rechtsextreme an Corona-kritischen Veranstaltungen mit. Ebenso treten neue Gruppen in Erscheinung. Deren Bedeutung ist zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht einzuschätzen.

(Stand: Juli 2021)