Was ist Rechtsextremismus?
Rechtsextremismus zeigt sich in verschiedenen Erscheinungsformen – von gewaltbereiten Naziskinheads zu Diskussionszirkeln. Auch innerhalb der rechtsextremen Szene laufen Auseinandersetzungen, über die ideologische Ausrichtung wie über die Strategien politischer Arbeit. Rechtsextreme Gesellschaftsvorstellungen haben sich beispielsweise in den vergangenen Jahrzehnten weg von nationalsozialistischer Rassenlehre, hin zur kulturalistisch begründeten Vorstellung gewandelt, wonach Menschen unterschiedlicher Kulturen nicht zusammenleben können und aussereuropäische Migrant*innen Europa zu verlassen hätten.
Der Vorwurf „rechtsextremes“ Gedankengut zu verbreiten, wird von Angegriffenen oder Kritisierten meist bestritten, zum Beispiel mit der Versicherung „Patriot“ oder „Nationalist“ zu sein. Allen Strömungen gemein sind jedoch mehrere Merkmale, anhand derer Rechtsextremismus als politische Ideologie definiert werden kann.
„Der praktizierte, manifeste Rechtsextremismus ist eine bewegungsmäßig organisierte Erscheinung, die verschiedene Handlungs- und Organisationsformen mit der ideologischen Basis sozialer Ungleichwertigkeitsvorstellungen beschreibt; manifest Rechtsextreme zielen auf die alleinige, rassistisch beziehungsweise nationalistisch begründete Vormachtstellung innerhalb bestimmbarer sozialer, kultureller, politischer oder räumlicher Bereiche (wie Nation, Stadt, Parlament, Jugendszene); dabei wird die Unterordnung, Verdrängung oder Eliminierung anderer ethnischer, (sub-)kultureller oder politischer Erscheinungen eingeschlossen, bezweckt oder zumindest in Kauf genommen.“ (Matthias Quent 2015)
Die Annahme der Ungleichwertigkeit bestimmter Gruppen und Personen zeigt sich in nationalistischer, völkischer Selbstübersteigerung, rassistischer Einordnung, eugenischer Unterscheidung von lebenswertem und unwertem Leben, soziobiologischer Behauptung von natürlichen Ideologien und sozialdarwinistischer Betonung des Rechts des Stärkeren, totalitäres Normverständnis bei Abwertung des „Andersseins“ und der Betonung von Homogenität (der Nation oder des Volkes) und kultureller Differenz.
Die Ausgrenzung äussert sich in sozialer, ökonomischer, kultureller, rechtlicher und politischer Ungleichbehandlung von „fremden“ und „anderen“ Menschen und Lebensformen.
Beispiele: Menschen dunkler Hautfarbe erhalten keinen Eintritt in die Disco. Jugendliche mit ausländisch klingenden Namen erhalten nur schwer eine Lehrstelle.
Überzeugung unabänderlicher Existenz von Gewalt ("Gewalt gehört immer dazu")
eigene Gewaltbereitschaft
Billigung fremd ausgeübter privater bzw. repressiver staatlicher Gewalt
tatsächliche Gewalttätigkeit
Ablehnung rationaler Diskurse
Ablehnung demokratischer Regelungsformen von sozialen und politischen Konflikten
Betonung des alltäglichen Kampfes ums Dasein
Betonung autoritärer und militaristischer Umgangsformen und Stile
Quelle: Wilhelm Heitmeyer u.a. Die Bielefelder Rechtsextremismus-Studie, München 1992, S. 13f.
Rechtsextremismus ist eine Weltanschauung, basierend auf Ungleichheitsvorstellungen und politischen Forderungen nach einer autoritären Gesellschaftsordnung.
Sie enthält folgende inhaltliche Dimensionen:
Menschen teilen sich durch Geburt und Herkunft in unterschiedliche soziale Gruppen (wie Rassen oder Ethnien). Rechtsextreme verstehen diese Zugehörigkeit als „natürlich“ und – im Gegensatz zu Faktoren wie Staatsangehörigkeit oder politischer Weltsicht – als unveränderlich. Dies zeigt sich etwa im Slogan: „Schweizer kann man werden, Eidgenosse nicht.“
Rechtsextreme schildern die Gesellschaft als traditionsverloren und dekadent. Untergangsszenarien verstärken den Druck für ultimatives Handeln und den Einsatz von Gewalt. Um den Wert der eigenen Gruppe zu erhöhen und ihre Überlegenheit zu beschwören, wird die Geschichte mythologisiert und in Abgrenzung zu den Lastern, Gefahren und Bedrohungen der modernen Gesellschaft ein idealisiertes Bild der Vergangenheit konstruiert auf welches Bezug genommen wird. Dementsprechend ist Rechtsextremismus immer auch wertkonservativ – im Sinne von „früher war Alles besser“ und führt zur Verharmlosung von vergangenem Unrecht (im Schweizer Kontext, z.B. die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, Kindswegnahmen bei Jenischen)
Rechtsextreme bestreiten die Idee, dass alle Menschen grundsätzlich gleichwertig sind und alleine aufgrund ihrer Geburt über gewisse unveräusserliche Rechte verfügen. Sie schätzen gewisse Personen und Gruppen als wichtiger und höherwertig ein, während sie andere als „minderwertig“ betrachten. Eugenik ist daher häufig ein Bestandteil rechtsextremer Politik. Damit verbunden werden autoritäre Gesellschaftsvorstellungen, wo besonders geeignete Personen möglichst uneingeschränkt regieren können sollen. Dies zeigt sich in der Befürwortung einer rechtsgerichteten Diktatur, einem ausgeprägten Führerkult, der Ablehnung demokratischer und gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse oder dem Wunsch nach einer starken Exekutivgewalt und Forderungen nach Recht & Ordnung.
Rechtsextreme übertragen das Konzept der natürlichen Selektion auf die menschliche Gesellschaft und interpretieren sie als „Überleben des Stärkeren“. Verbunden mit den Ansichten zur natürlichen Ungleichheit und Gruppenzugehörigkeit führt dies dazu, dass als fremd wahrgenommene Gruppen als Bedrohung verstanden werden und dementsprechend kontrolliert und unterdrückt werden müssen. Dies äussert sich etwa in der Diskriminierung und Unterdrückung sozialer, ethnischer oder religiöser Minderheiten (Antisemitismus, Antiziganismus, Muslimfeindlichkeit, etc.) und Fremdenfeindlichkeit, da eine Vermischung mit Menschen aus anderen Kulturen oder sozialen Gruppen in dieser Logik die Existenz der eigenen sozialen Gruppe bedroht (Forderung nach Schliessung der Aussengrenzen, Interpretation von Migration als „grosser Austausch“). In diesem Rahmen kommt es meist zu einer Täter-Opfer-Umkehr, um über das Kultivieren von Opfermentalität Gewalt als Selbstverteidigung zu legitimieren.
Rechtsextreme stellen sich das Leben als „ewigen Kampfes ums Dasein“ vor und verbinden diese Vorstellung mit einer martialen und soldatischen Weltsicht, die alle Menschen als Krieger begreift. Ihre Sprache ist geprägt von der Verwendung von Kriegsjargon im Alltag. Sie halten Eigenschaften wie Aggression, Härte und Kampfbereitschaft für Tugenden. Die Überhöhung von als maskulin geltenden Eigenschaften geht einher mit einem Faible für Männerbünde (wie Stammtische oder Schützenvereine) und der Vorstellung, dass Politik und Staatswesen in erster Linie Männersache sei. Dies führt auch zur Diskriminierung von als unmännlich wahrgenommenen Personen (wie Homosexuelle). Die zentrale Funktion von Frauen ist in diesem Weltbild die Sicherstellung des Überlebens der eigenen sozialen Gruppe und damit Reproduktionsarbeit in der Form von Mutterschaft, Care-Arbeit und Erziehung.
Die hierarchische und martiale Weltsicht führt zu einem ausgeprägten Territorialismus und einer gelebten Dominanzkultur. Verstärkt dadurch, dass sich Rechtsextreme oftmals als Vorreiter*innen und Vertreter*innen der „schweigenden Mehrheit“ verstehen. Sie versuchen soziale Räume (Plätze, Lokale, Diskussionsrunden etc.) zu dominieren, um Andersdenkende zu provozieren, verdrängen und mit ihrem martialischen Auftreten und ihrer gewaltvollen Polemik einzuschüchtern. Führt dieses Verhalten zu Reaktionen, stellen sich Rechtsextreme als die eigentlichen Opfer dar.
In rechtsextremen Zusammenhängen sind Furcht, Mythen und Vorurteile oftmals wichtiger als Fakten und sachliche Auseinandersetzung. Das gezielte Bespielen gesellschaftlicher Konflikte durch das Schüren von Ängsten und die Präsentation von Sündenböcken ist eine häufig angewandte rechtsextreme Strategie. Propaganda und Appelle an die Emotionen ersetzen dabei kritische Berichterstattung. Verbunden mit einem ausgeprägten Anti-Intellektualismus verbreiten sich so Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen, während seriöse Berichterstattung als „Lügenpresse“ verunglimpft wird.
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in den europäischen Ländern intellektuelle Gruppen und Strömungen, welche Freiheiten und Rechte des liberalen Staates ganz oder teilweise rückgängig machen wollten. Ihre Vertreter*innen bekämpften sowohl den Liberalismus wie die Arbeiterbewegung (Kommunismus/Sozialismus). Während Minderheiten und als fremd wahrgenommene Gruppen die äussere Bedrohung darstellen, gelten liberale und linke Vorstellungen und Akteur*innen als innerer Feind, welche den Untergang der eigenen ethnischen Gemeinschaft herbeiführen würden.
Quellen: Brähler Elmar / Decker, Oliver (2018). Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft. Gießen: Psychosozial-Verlag.
Eco, Umberto: Ur-Faschismus, Zeit Online 07. Juli 1995.
Heitmeyer, Wilhelm (2012). Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) in einem entsicherten Jahrzehnt. In W.Heitmeyer (Hrsg.), Deutsche Zustände. Bd. 10 (S. 15–41). Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Stanley, Jason (2020): How Fascism works. The politics of Us and Them, New York: Randomhouse.
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